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Die Realität hinter der Fiktion

Maxwellscher Dämon
Maxwellscher Dämon
Der Dämon in der Maschine
1871 veröffentlichte Maxwell ein Gedankenexperiment, mit dem er den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik infrage stellte. Dieser besagt: Der Wärmefluss findet immer von heißen zu kalten Körpern statt und nie umgekehrt. Um den Ursprungszustand wieder herzustellen, z.B. zwei unterschiedlich warme Gase nach der Vermischung zu trennen, muss Energie aufgewendet werden. Dadurch ist ein Perpetuum mobile zweiter Art unmöglich. Maxwells Gedankenexperiment beschreibt einen mit Gas gefüllten Behälter. Eine Trennwand verhindert, dass einzelne Gasmoleküle von der einen Hälfte in die andere wandern. In dieser Trennwand ist eine Tür und würde man sie so öffnen und schließen können, dass sie in der einen Richtung nur schnelle Moleküle, und in der anderen nur langsame durchlässt, hätte man kurz darauf unterschiedliche Temperaturen in den beiden Hälften (die man für eine Wärmekraftmaschine verwenden könnte). So ließe sich mehr Energie gewinnen, als dem System zugefügt wurde. Und man hätte ein Perpetuum mobile zweiter Art. Die Bezeichnung maxwellscher Dämon kommt daher, dass in diesem Gedankenexperiment ein Wesen, das die Moleküle erkennen könne, das Öffnen und Schließen der Tür steuert: ein Dämon. Allerdings stammt die Bezeichnung Dämon nicht von Maxwell, die erhielt das hypothetische Wesen 1874 von William Thomson, dem späteren Lord Kelvin.
Künstler unbekannt, »Luzifer quält die drei Verräter Judas, Brutus und Cassius« Codex Altonensis, ex Bibliotheca Gymnasii Altonani, Hamburg; 14. Jh., Italien
Æther in der Physik Äther
Die Substanz des Weltraumes

Der Æther ist eine hypothetische Substanz, von der man annahm, sie fülle den Weltraum aus.

Da man die Welleneigenschaften von Licht erkannt hatte, brauchte man ein Medium, durch das es sich ausbreiten konnte. So wie bei Ozeanwellen, wo keine Wassermoleküle über die Meere wandern, sondern den Wellenimpuls weitergeben. Mit der Postulierung des Æters löste man das Problem, wie das Licht sich ausbreitete, aber zugleich ergaben sich unlösbare Widersprüche. Einerseits musste der Æther ein materieller Festkörper sein, um den Impuls weiterzugeben, andererseits durfte er keinen Einfluss auf die Bewegung der Himmelskörper haben, wie zum Beispiel einen durch Reibung verursachten Geschwindigkeitsverlust.

Weder Modelle mit einem mitgeführten Æther, was keine Reibungsverluste bedeutet hätte, noch mit einem ruhenden Æther, der sich mit der Aberration (Ablenkung) des Lichtes vereinbaren ließe.

1894/1895 versuchte Albert Einstein den Æther in seine Überlegungen mit einfließen zu lassen.

1905 veröffentlichte er mit der Speziellen Relativitätstheorie ein Modell, das den Æther nicht widerlegte, aber überflüssig machte. 1920 schrieb Einstein: »Die spezielle Relativitätstheorie schließe den Äther nicht notwendigerweise aus, da man dem Raum physikalische Qualitäten zuschreiben müsse, um Effekte wie Rotation und Beschleunigung zu erklären.«

Auch andere Physiker versuchten, den Ætherbegriff in die moderne Physik zu übertragen. Paul Dirac postulierte 1930 den Dirac-See. Dieses (inzwischen widerlegte) Modell beschreibt das Vakuum als »See« aus Teilchen mit negativer Energie. Seiner Auffassung nach konnte der Dirac-See als quantenmechanischer Æther interpretiert werden.

2006 erwähnte der Astrophysiker George Smoot in seiner Nobelpreisrede, dass das Bezugssystem, in dem kosmische Mikrowellenstrahlung isotrop ist, als Æther bezeichnet werden könne.

Die Nobelpreisträger Robert B Laughlin und Frank Wilczek vertreten die Auffassung, dass man, im Hinblick auf das Quantenvakuum, auch in der modernen Physik noch von einem Æther sprechen kann

Künstler unbekannt, »Wanderer am Weltenrand«, Erstveröffentlichung 1888
Ether als Droge Die Droge
Das Rauschmittel des 19. Jahrhunderts

Im 19. Jahrhundert war Ether ein beliebtes Rauschmittel.

Um1830 kamen "Ätherpartys" in Mode. In seiner Wirkung ist Ether dem Alkohol ähnlich. Der hemmende Effekt auf die Großhirnrinde schränkt die Fähigkeit zur Selbstkritik stark ein und löst eine euphorische Stimmung aus, in der die eigene geistige Leistungsfähigkeit weit überschätzt wird. Zudem können optische und akustische Halluzinationen auftreten und ein Gefühl der Dissoziation – die Unterbrechung Bewusstseinsstroms, die Abspaltung von Gefühlen, Körperwahrnehmungen, Erinnerungen, der Identität und der Wahrnehmung der Umwelt.

Ether kann süchtig machen, zum Nachlassen der geistigen Fähigkeiten, Muskelzittern, allgemeiner Schwäche und Schädigung des Herzmuskels führen. Die psychotische Wirkung tritt manchmal erst nach längerem, regelmäßigen Konsum ein. Der Entzug ähnelt dem Morphiumentzug: Schlaflosigkeit, Delirien und Krämpfe. Guy de Maupassant beschrieb den Ätherrausch folgendermaßen: "Das war nicht Traum wie mit Haschisch, das waren nicht die ein wenig krankhaften Visionen wie mit Opium, es war eine wunderbare Schärfe des Verstandes, eine neue Art zu sehen, zu urteilen, die Dinge des Lebens einzuschätzen, und die Gewissheit, das absolute Bewusstsein, dass diese Art zu leben, die wahre ist."

Ether schaltet noch vor Einsetzen der Narkose, die Schmerzverarbeitung im Gehirn aus und hemmt die Reflexe der Muskulatur. Bei Aufbewahrung von Ethern an Licht bilden sie mit Luftsauerstoff Peroxide. Diese können sich bei der (Vakuum-)Destillation eines Ethers im Rückstand ansammeln und zu Explosionen führen.

Johann Heinrich Füssli, »Der Nachtmahr «, 1781
Ether, in der Narkose Narkose
Revolution der Medizin

Ether (Äther) ist eine chemische Verbindung. Es war neben Chloroform und Lachgas das wichtigste Narkosemittel des 19. Jahrhunderts.

Vor der Entdeckung der Narkose wurden chirurgische Eingriffe nur in äußersten Notsituationen vorgenommen, da sie mit einer hohen Sterblichkeit und unerträglichen Schmerzen verbunden waren. Am 30.03.1842 operierte der Arzt Crawford Williamson Long einen Patienten, den er zuvor mit Ether betäubt hatte. Er unterließ aber eine Publikation und brachte sich so um seine Prioritätsansprüche. Der Zahnarzt Horace Wells arbeitete mit Lachgas. Die schmerzstillende Wirkung entdeckte er zufällig während eines Jahrmarktbesuches. Die öffentliche Vorführung 1845 scheiterte, da dem Patienten zu wenig Lachgas verabreicht wurde. Daraufhin war Wells Ruf ruiniert. Er wurde chloroformsüchtig , bespritzte im Rausch zwei Frauen mit Säure und landete im Gefängnis, wo er am 24.01.1848 Selbstmord beging. So wird die erste erfolgreiche Vollnarkose dem Zahnarzt William Morton zugeschrieben, der am 16. Oktober 1846 in Boston erfolgreich einen Tumor entfernte.

Vor der Erfindung der Vollnarkose waren die Chirurgen gezwungen schnell zu arbeiten, denn die Patienten starben manchmal am Schock der Schmerzen.

Der Leibarzt Napoleons konnte 200 Amputationen an einem Tag vornehmen. Die normale Operationszeit für einen solchen Eingriff betrug 28 Sekunden.

Ilja Repin, »Der Chirurg J. W. Pawlow im Operationssaal«, 1888, Tretyakov Galerie, Moskau, Russland
Der Krim-Krieg Narkose
… und der Beginn der Verwundetenfürsorge

In Krimkrieg (1853 bis 1856) standen sich Russland auf der einen und auf der anderen Seite das Osmanische Reich, Frankreich und Großbritannien gegenüber.

Er war der erste Stellungskrieg, der Beginn der Kriegsberichterstattung und der Kriegsverwundetenfürsorge.

Als Reporter über die Verhältnisse in britischen Lazaretten berichteten, viele Soldaten erkrankten und starben, noch bevor sie in den Kampf mussten, machte sich Florence Nightingale (1820 - 1910) mit 38 Pflegerinnen auf den Weg nach Scutari, um die Leitung der Krankenpflege zu übernehmen. Auf der russischen Seite kümmerte sich der Arzt und Pädagoge Nikolai Iwanowitsch Pirogow (1810 - 1881) um die Verwundeten und gilt als Mitbegründer der Feldchirurgie. Er gehörte zu den ersten Ärzten, der die neu entdeckte Ether-Narkose und seine Arbeiten trugen dazu bei Die meisten Chirurgen standen der Narkose zunächst skeptisch gegenüber, der russische Arzt und Pädagoge gehörte zu den Ersten, die sie anwendeten. In der Medizingeschichte wird er wegen seiner neuen Methoden und seines Einsatzes für verwundete Soldaten als Mitbegründer der Feldchirurgie angesehen. Mit seinen Arbeiten half Pirogow, die Chirurgie auf eine wissenschaftliche Basis zu stellen. Bis dahin waren die Berufe Mediziner und Chirurg (Feldscherer, Wundärzte) streng getrennt.

Franz Roubaud, Belagerung von Sevastopol
Die Ochrana Ochrana
Der Geheimdienst der Zaren

Ochrana war der inoffizielle Oberbegriff für die verschiedenen Geheimdienste und die Geheimpolizei im zaristischen Russland.

Offiziell hießen sie Ochrannoje otdelenie, was Sicherheitsabteilung bedeutet. Sie wurde 1881 von Zar Alexander III gegründet. Man vermutet die Ochrana hinter den fingierten Protokollen der Weisen von Zion, die vortäuschten, es gäbe eine jüdische Weltverschwörung. Vermutlich sollte mit dieser Fälschung die Machtposition Zar Nikolaus II gestärkt werden.

Ilja Repin, »Verhaftung des Propagandisten«, 1880-1892, Tretyakov Galerie, Moskau, Russland
Die Katorga Katorga
Verbannung nach Sibirien

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts entwickelte sich die Strafe der Verbannung zu einem Herrschaftsinstrument der russischen Zaren.

Zum einen konnte man sich unerwünschter Zeitgenossen entledigen und zum anderen die menschenleeren Weiten Sibiriens besiedeln. In Sibirien herrscht größtenteils extremes Kontinentalklima: Die Sommer sind sehr heiß, mit Temperaturen bis zu 40 Grad, die Winter extrem kalt, vereinzelt mit bis zu minus 70 Grad. Das Land ist bis zu neun Monate von Schnee bedeckt. Aus diesem Grund fanden sich nie genügend Siedler, um diese gigantische Fläche zu erschließen.

Verbannt wurden zunächst Räuber, Diebe, Kinderschänder, aber auch meuternde Soldaten, widerspenstige Bauern und Menschen mit dem falschen Glauben oder unerwünschter politischer Einstellung. Später wurde diese Art der Bestrafung auch auf andere Vergehen ausgeweitet, wie Meineid, Verleumdung oder Verstöße gegen Verbote des Tabakrauchens und des Baumfällens ohne Erlaubnis oder bei Steuerschulden. Auch nationale Minderheiten wurden nach Sibirien abgeschoben.

Sibirien bezeichnete man im zaristischen Russland als das „größte Zuchthaus der Welt“ oder „ein riesiges Gefängnis ohne Dach“. 1649 wurde die Deportation im Strafgesetzbuch verankert. Nach Schätzungen wurden in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts 2000 Verurteilte pro Jahr deportiert. Als 1753 die Todesstrafe weitgehend abgeschafft wurde, stieg die Zahl auf 10.000 an.

1845 wurden verschiedene Grade der Verbannung festgelegt:

  1. Katorga:
  2. Verbannung zu unbefristeter oder befristeter Sträflingsarbeit
  3. Ssylka:
  4. Zwangsweise Ansiedlung an einem bestimmten Ort mit dem Verlust aller bürgerlichen Rechte.
  5. Zeitweilige Verbannung mit geringfügigen Einschränkungen der Freiheit.

 

Vor Antritt der Strafe wurden zahlreiche Gefangene ausgepeitscht. Bis 1863 schnitt man ihnen die Nasenflügel oder Stirn und Wangen auf und rieb die Wunden mit Schießpulver ein, damit für jedermann sichtbare Narben zurückblieben.

Der Weg in die Verbannung wurde zu Fuß zurückgelegt, teilweise mit Eisenfesseln aneinandergekettet. Der Marsch konnte bis zu zwei Jahre dauern und wurde nicht auf die übliche Strafzeit von 20 Jahren angerechnet. Viele erreichten ihren Verbannungsort nicht.

Ein Gerichtsverfahren war keine zwingende Voraussetzung, um eine Verbannung zu verhängen. Dorfgemeinschaften durften sogenannte »verderbte Personen« nach Sibirien schicken, Guts- und Fabrikbesitzer unbeugsame Leibeigene und Arbeiter. Damit waren der Willkür Tür und Tor geöffnet. Schwerverbrecher konnten mit wenigen Jahren Verbannung davonkommen, während man für Widerworte oder den Verlust der Ausweispapiere mitunter lebenslang Zwangsarbeit leisten musste.

Zwangsarbeit bedeutete, Wälder zu roden oder Sümpfe trockenzulegen, Verkehrswege zu bauen, in Eisenhütten, Erzminen oder Salzbergwerken zu arbeiten. Die Sterberate lag bei 30 bis 40 Prozent. Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts stieg die Zahl der politisch Verbannten an.

Zwischen 1905 und 1907 ließ Zar Nikolaus II. Tausende politische Gegner nach Sibirien deportieren.

 

Aufzeichnungen aus einem Totenhaus

Roman des Schriftstellers Fjodor Michailowitsch Dostojewski.

Das Werk erschien zwischen 1861 und 1862 in der Zeitschrift Wremja (Zeit). Eine russische Monatszeitschrift, deren Herausgeber Dostojewskis älterer Bruder war.

Am 23. April 1849 wurde Dostojewski wegen Teilnahme an einem Treffen der Petraschewzen (Anhänger der französischen Frühsozialisten) festgenommen und im Alter von 28 Jahren zum Tode verurteilt. Am 22 Dezember 1849 wurden er und seine Mitgefangenen in weiße Leichenkittel gekleidet und die ersten drei von ihnen an Pflöcke gebunden. Dann wurde ein Erlass des Zaren Nikolaus I. vorgelesen, der empfahl, Dostojewski alle Vermögensrechte abzusprechen und ihn für acht Jahre Zwangsarbeit und Festungshaft zu verurteilen. Der Zar vermerkte unter dem Urteil: „Für vier Jahre. Danach gemeiner Soldat.“

Dostojewski wurde ins Arbeitslager der Omsker Katorga deportiert und während seiner gesamten Häftlingszeit in Ketten gehalten.

Am 15. Februar 1854 wurde er aus der Katorga entlassen und schloss sich dem 7. Sibirischen Linienbataillon an. Am 18. April 1857 erhielt Dostojewski seine Bürgerrechte zurück. Am 18. März 1859 wurde er aus gesundheitlichen Gründen aus dem Militärdienst entlassen. Er durfte in den europäischen Teil Russlands zurückkehren, allerdings war es ihm verboten, sich in St. Petersburg und Moskau niederzulassen. Und er wurde unter Polizeiaufsicht gestellt. Allerdings hatte sich die politische Lage in der Zwischenzeit entspannt.

Nach dem Tod von Nikolaus I. regierte Alexander II., der viele Bereiche des Staatswesens reformierte, unter anderem schaffte er 1861 die Leibeigenschaft ab. Freunde und Dostojewski selbst wandten sich an den neuen Zaren, der ihm im Dezember 1859 gestattete, nach St. Petersburg zurückzukehren.

Dostojewski unternahm den ersten Versuch, seine »Aufzeichnungen aus einem Totenhaus« zu veröffentlichen. Ab September 1860 bis Anfang 1861 erscheinen die Einleitung und die ersten vier Kapitel in der Zeitschrift »Russki Mir«. Die weiteren Kapitel fielen der Zensur zum Opfer.

Die „Aufzeichnungen“ ist das erste Werk in der russischen Literaturgeschichte, das vom Leben in den sibirischen Strafkolonien handelt.

Der tschechische Komponist Leoš Janáček nutzte dieses Buch als Vorlage für seine Oper »Aus einem Totenhaus«.

Fotograf unbekannt, Verbannter in Ketten, 1905
Nikolaj Alexandrowitsch Romanow Zar
Der letzte Zar

06.05.1868 bis 17.07.1918

Nikolaj Alexandrowitsch Romanow war als Nikolaus II., der letzte Zar Russlands.

Im Alter von 19 Jahren wurde Nikolaus zur Preobraschenski-Garde geschickt und absolvierte seine Offizierslaufbahn. Nikolaus empfand diese Zeit als befreiend, fand Gefallen an der Kasinokameraderie und fühlte sich zeitlebens unter Offizieren wirklich aufgehoben.

1984 heiratete er seine »Jugendliebe« Prinzessin Alix von Hessen-Darmstadt, eine Enkelin von Queen Victoria. Mit ihr hatte er fünf Kinder. Olga (*15. 11.1895), Tatjana (*10. 06.1897), Maria (*26.06.1899), Anastasia (*18.06.1901) und Alexej (12.08.1904).

Nikolaus II. Regierungszeit begann 1897 nach dem überraschenden Tod seines Vaters. Sein Regierungsstil war autokratisch und kurz nach seiner Thronbesteigung erteilte er den liberalen Kreisen, die auf Reformen und mehr Demokratie hofften eine Absage. Russland besaß weder eine geschriebene Verfassung noch ein Parlament. Nikolaus II. hörte nicht auf seine Berater und Minister, hielt an den halbfeudalen Verhältnissen in seinem rückständigen Land fest. Die politische Opposition wurde mithilfe der Ochrana brutal unterdrückt.

Seine Innenpolitik war auch von Antisemitismus geprägt, zwischen 1903 und 1906 fanden allein an die 600 Pogrome statt. 1905 breite sich eine Streik- und Demonstrationswelle über das Land aus. Eine friedliche Demonstration endete in einem Blutbad, als Soldaten und Ochrana auf die Menschenmenge schossen.

Der Ausbruch des 1. Weltkrieges traf Russland unvorbereitet. Der Zar verfügte zwar über das größte Heer der Welt, doch es war mangelhaft ausgebildet und schlecht ausgerüstet. Anfang 1917 war die Lage in Russland bis zum äußersten gespannt. Täglich kam es zu Massenprotesten, Demonstrationen und Streiks, an der Front war die Moral der Truppen äußerst schlecht.

Nikolaus II. lehnte die Forderung des Parlaments, eine Regierung mit Mehrheit der Duma zu ernennen, ab. Als die bürgerlichen Parteien daraufhin dennoch eine provisorische Regierung vorbereiteten, löste Nikolaus II. das Parlament auf und erließ einen Schießbefehl gegen die Aufständischen. Anstatt den Befehl auszuführen, begannen Militär und Polizei zu meutern und schlossen sich den Demonstranten an.

Schließlich dankte Nikolaus II. am 15.03.1917 zugunsten seines Bruders, Michail Alexandrowitsch Romanow, ab. Im Chaos der Abdankung vergaß man, Michail darüber zu informieren. Michail wollte seine Machtbefugnisse der provisorischen Regierung übergeben und sei bereit die Thronfolge anzutreten, wenn das Volk in geheimen Wahlen dafür entscheiden sollte.

Die provisorische Regierung bekam Russlands drängendste Probleme nicht in den Griff, zog sich unter anderem nicht aus dem 1. Weltkrieg zurück, was eine der größten Forderungen der kriegsmüden Bevölkerung war. Das führte zur Oktoberrevolution, in der die Bolschewiki an die Macht kamen.

Im Frühjahr wurde die Familie des Zaren von den Bolschewiki nach Jekaterinenbug gebracht und dort in der Villa Ipatjew inhaftiert. Am 17.07.1918 wurden sie von ihren Bewachern erschossen.

Ilja Repin, »Porträt von Zar Nikolaus II.«, 1896, Tretyakov Galerie, Moskau, Russland
Lew Nikolajewitsch Graf Tolstoi Tolstoi
Der unbequeme Graf

28.08.1828 bis 07.11.1910

Lew Tolstoi, in deutsch auch Leo Tolstoi, entstammt einem russischen Adelsgeschlecht und war das vierte von fünf Kindern.

Mit neun Jahren wurde er Vollwaise. Mit sechzehn, im Jahre 1844, begann er das Studium der orientalischen Sprachen, wechselte bald darauf in die juristische Fakultät und brach das Studium 1847 schließlich ab. Er hatte das Familiengut Jasnaja Poljana geerbt, mit ihm 350 Leibeigene und widmete sich lieber Landreformen, um die Lage dieser Leibeigenen zu verbessern. 1851 diente er als Fähnrich in der zaristischen Armee und nahm am Krieg im Kaukasus teil.

Nach Ausbruch des Krimkrieges 1854 erlebte er den Belagerungskrieg der Festung Sewastopol. Die realistischen Berichte über diesen Krieg (Sewastopoler Erzählungen) machten ihn als Schriftsteller bekannt.

1857 und 1860/61 bereiste Tolstoi westeuropäische Länder, besuchte Künstler und Pädagogen.

Nach seiner Rückkehr kümmerte er sich verstärkt darum, Dorfschulen nach Vorbild Rousseaus einzurichten. 1872 erschien sein Schulbuch »Alphabet«, die Überarbeitung von 1875 wurde mit einer Auflage von 1,5 Millionen Exemplaren gedruckt und in mehrere Sprachen übersetzt.

1862 heiratete Tolstoi die deutschstämmige Sofia Andrejewna, mit der er 13 Kinder hatte.

1882 erkannte er, dass das Elend der Arbeiter das der Bauern noch übertraf, und versuchte daraufhin der Landflucht entgegenzuwirken, indem er Hilfe für Bauern organisierte, die von Missernten betroffen waren.

Tolstoi lehnte Rauchen, Alkohol und die Jagd ab und ernährte sich vegetarisch. Er besuchte inhaftierte Kriegsdienstverweigerer und setzte sich wiederholt und oft erfolgreich für religiös und politisch Verfolgte ein. Der Druck auf ihn wuchs, seit 1882 stand er unter Polizeiüberwachung. Einige seiner Schriften wurden gleich nach der Veröffentlichung verboten, andere durften nur zensiert erscheinen. Man brachte das Gerücht in Umlauf, er sei geistesgestört.

1901 wurde Tolstoi von der orthodoxen Kirche exkommuniziert, in seiner Erwiderung an die Kirchenleute schrieb er: »Die Lehre der Kirche ist eine theoretisch widersprüchliche und schädliche Lüge, fast alles ist eine Sammlung von grobem Aberglauben und Magie.« Tolstoi war der Auffassung: »Echter Glaube besteht nicht darin, an Wunder, Sakramente und Rituale zu glauben, sondern an das eine Gesetz, das für alle Menschen der Erde Gültigkeit besitzt“ (aus „Über das Leben“ 1887).

Hundert Jahre später bat ein Urenkel Tolstois, die Exkommunizierung rückgängig zu machen. Der Patriarch Alexij II lehnte ab: „Ich denke nicht, dass wir das Recht haben, einem vor einhundert Jahren gestorbenen Menschen eine Kirche aufzudrängen, von der er sich zu Lebzeiten selbst losgesagt hatte. Lew Tolstoi ist ein Genie der russischen Literatur, aber in seinem Werk gibt es Schriften mit antichristlichem Charakter.“

Tolstoi lehnte die sozialistischen Bestrebungen im Sinne einer Diktatur des Proletariats ab, er setzte auf beständige, moralische Werte, bedingungslose Nächstenliebe und Gewaltlosigkeit.

Er stand im Briefwechsel mit Mahatma Gandhi, der Tolstoi als seinen Lehrer bezeichnet.

Ilja Repin, »Tolstoi in seinem Arbeitszimmer«, 1891, Staatliches Literaturmuseum, Moskau, Russland
Ilja Jefimowitsch Repin Repin
Der Maler

24.07.1844 bis 20.09.1930

Der Maler Ilja Repin gilt als der bedeutendste Vertreter der russischen Realisten.

Er war ein Meister der Farbe, berühmt für seine ungeschönten, lebensnahen Menschendarstellungen und wurde der Tolstoi der Malerei genannt.

In vielen seiner Werke prangert er die sozialen Missstände an, unter denen das Volk zu leiden hat.

In seinen späteren Arbeiten widmet er sich historischen Darstellungen oder Porträts berühmter russischer Komponisten und Schriftsteller. Der Philosoph Wassili Rosanow sagte: »Es sei wirklich schrecklich, unter Repins Pinsel zu kommen. Wen er ‘abgetastet' hat, der kann seine Seele nicht verbergen.«

Mit dem Schriftsteller Lew Tolstoi verband ihn eine 30-jährige Freundschaft. Unter Tolstois Einfluss wurde Repin Vegetarier bzw. Veganer und schloss sich 1908 seinem Protest gegen die Todesstrafe an. Drei Jahre zuvor hatten die Geschehnisse des »Blutigen Sonntags« den sensiblen Maler tief erschüttert und er hielt auf Leinwand fest, wie Demonstranten auf dem Weg zum Zaren erschossen wurden.

Trotz vieler Gemeinsamkeiten mit Tolstoi war die Freundschaft mit ihm nicht unproblematisch. Repin bekannte, dass er in Tolstois hypnotisierender Gegenwart nicht wagte, ihm zu widersprechen und erst hinterher in Gedanken Dispute mit ihm führte.

Ilja Repin, »Selbstbildnis«, 1887, Tretyakov Galerie, Moskau, Russland
Nikola Tesla Narkose
Das verkannte Genie

10.07.1856 bis 07.01.1943

Serbischstämmiger Erfinder, Physiker und Elektroingenieur.

Er meldete über 700 Patente an. Seine wichtigsten Erfindungen sind der Wechselstrom/Drehstrom, der Wechselstrom-Motor sowie zahlreiche Arbeiten im Bereich Funktechnik und Hochfrequenztechnik.

1884 reiste Nikola Tesla in die USA, um dort für Thomas Alva Edison zu arbeiten. Er verkaufte seinen Besitz, um sich die Überfahrt leisten zu können, und besaß noch 4 Cent, als er in den USA ankam. Das Arbeitsverhältnis war nur von kurzer Dauer. Es wird gesagt, Edison bot Tesla 50.000 Dollar an, wenn er die Leistung eines Generators verbessern könne. Als Tesla mit der Lösung zu Edison kam, soll dieser ihn ausgelacht und gesagt haben: »Ich sehe schon, dass Sie unseren amerikanischen Humor noch nicht so recht verstehen.« Tesla kündigte.

 

Der Stromkrieg

Später standen sich Edison und Tesla, beziehungsweise die mit ihnen verbundenen Firmen, als Kontrahenten im sogenannten Stromkrieg gegenüber. Es ging um die Frage, ob Gleichstrom oder Wechselstrom der Standard für die weltweite Energieversorgung werden sollte. Edisons Gleichstrom ist zwar in Akkumulatoren speicherbar, doch durch den hohen Energieverlust bei der Übertragung dem Wechselstrom von Tesla unterlegen.

Um die Regierungen und die Öffentlichkeit dennoch von seinem Gleichstrom zu überzeugen, schreckte Edison nicht vor schmutzigen Tricks zurück und ließ nur wenig unversucht, um die Gefährlichkeit von Wechselstrom zu demonstrieren. So ließ er beispielsweise einen Elefanten durch Wechselstrom töten und nahm dieses Ereignis auf Film auf.

Als Edison von der Regierung beauftragt wurde, eine Hinrichtungsart mittels Elektrizität zu entwickeln, bestand er darauf, nicht seinen Gleichstrom, sondern den Wechselstrom seiner Konkurrenten Tesla und der Firma Westinghouse zu verwenden. Er schlug vor, diese Hinrichtungsart »to westinghouse« zu nennen. George Westinghouse wusste, das würde dem guten Ruf seiner Firma schaden und ging gerichtlich dagegen vor, jedoch ohne Erfolg.

Der Stromkrieg trieb Westinghouse in den Bankrott. Um die Firma (und den Wechselstrom) zu retten, zerriss Tesla seine Verträge und verzichtete somit auf sehr viel Geld. Welt-Energie-System Tesla glaubte an freie Energie, die jederzeit und unbegrenzt zur Verfügung steht.

1901 meldete er ein Patent für einen »Apparat zum Gebrauch von Strahlungsenergie« an. Dieser soll Raumenergie auffangen und in elektrische Energie umwandeln. Der Apparat bestand unter anderem aus einer Metallplatte, die mehr Energie liefert, je weiter sie vom Boden entfernt ist. In einigen Veröffentlichungen wird die Ansicht vertreten, es handle sich dabei um Energiegewinnung aus dem elektrostatischen Feld der Erde. In der Patentschrift fehlen die Begriffe wie »Freie Energie« oder »Raumenergie«. Und es wird eine Maschine beschrieben, die die elektromagnetische Strahlung der Sonne durch Fotozellen in elektrischen Strom umwandelt.

Für Tesla waren Stromnetze nur ein Zwischenschritt, der bald von einer drahtlosen und somit verlustfreien Energieübertragung abgelöst werden würde. Zu diesem Zweck konstruierte er den Magnifier Transmitter und den Wardenclyffe Tower. Sie sollten mit einem schnell wechselnden Spannungsfeld eine stehende elektrostatische Welle um die Erde schicken, die ein zweiter, identischer Turm anzapfen sollte. Nach Behauptungen Teslas erbrachten seine Transmitter eine Leistung von 100 Millionen Kilowatt. Bei einer Frequenz von zwei Megahertz entspräche das der Energiefreisetzung einer zehn Megatonnen Atombombe.

1914 wurde der Wardenclyffe Tower zur transatlantischen Stromübertragung als Patent angemeldet. Technische und finanzielle Probleme vereitelten die Weiterführung dieses Projekts. Zurzeit arbeiten die russischen Physiker Leonid und Sergey Plekanov an einer Weiterentwicklung von Teslas Wardenclyffe Tower.

In seinem Labor in Colorado Springs konnte er Spannungen von mehreren Millionen Volt erzeugen. Bei einem Versuch schossen bis zu 50 Meter lange Blitze aus der Kuppel. Ihr Donner war noch in 20 Kilometer Entfernung zu hören. Dabei überlastete Tesla den örtlichen Stromgenerator, dieser geriet in Brand und Colorado Springs war tagelang ohne Strom.

Bei Vorführungen stieg Tesla auf eine Plattform, in die er anschließend Millionen Volt leitete. Daraufhin schossen Blitze aus seinen Händen. Als er den Strom abschaltete, verließ er, noch etwas bläulich glühend, unverletzt die Plattform. Möglich war dies durch den Skin-Effekt (auch Stromverdrängung): Hochfrequente Ströme wandern bis zu einer gewissen Grenze über den menschlichen Körper, ohne sein Inneres zu schädigen.

1899 verkündete Tesla, er habe in Colorado Springs außerirdische Radiosignale empfangen. Seine Glaubwürdigkeit und sein Ruf leiden bis heute unter dieser Behauptung. Dabei wird übersehen, dass kosmische Radiostrahlung damals noch vollkommen unbekannt war. Möglicherweise hat Tesla mit seinen empfindlichen Instrumenten die diffuse Radiostrahlung unserer Milchstraße empfangen, die offiziell erst 1931/32 von Karl Jansky entdeckt wurde.

An persönlichem Reichtum war Nikola Tesla nicht interessiert, er wollte mit seinen Erfindungen die Lebensbedingungen aller Menschen verbessern.

Nikola Tesla litt an diversen Phobien und Zwangshandlungen. Die Vorstellung, die Haare anderer Menschen zu berühren, fand er unerträglich, Frauenohrringe ließen ihn schaudern. Bevor er aß, berechnete er den Kubikraum des Essens. Er hatte eine besondere Beziehung zu der Zahl 3 und ihren Vielfachen. Bevor er ein Gebäude betrat, umrundete er es dreimal. Im Restaurant brauchte er 18 Servietten, um Besteck und Geschirr zu polieren. Das New Yorker Hotelzimmer, das er zuletzt bewohnte und in dem er starb, lag im 33. Stock und trug die Nummer 3327.

Vilma Lwoff-Parlaghy, »Blaues Portrait«, 1916, Nordsee Museum, Husum,
Tunguska Ereignis Tunguska
Das Rätsel

Am 30. Juni 1908 ereigneten sich in Sibirien gegen 7 Uhr 15, in der Nähe des Flusses Steinige Tunguska, eine oder mehrere Explosionen, deren Ursache bis heute noch nicht zweifelsfrei geklärt ist.

Am wahrscheinlichsten wird der Einschlag eines Asteroiden oder Kometen angesehen, der in der Erdatmosphäre explodierte. Auf einem Gebiet von 2.000 km² wurden nach verschiedenen Schätzungen 60 bis 80 Millionen Bäume umgeknickt. In der 65 Kilometer entfernten Siedlung Wanawara wurden Türen und Fenster eingedrückt. Ein heller Feuerschein, eine Druckwelle und Donnergrollen konnten noch in 500 Kilometern Entfernung wahrgenommen werden. Die Schätzungen über die frei gewordene Sprengkraft variieren. Heute geht man von einer Sprengwirkung zwischen 2 und 5 Megatonnen TNT aus. Hätte der mutmaßliche Einschlag des Himmelskörpers fünf Stunden später stattgefunden, wäre er aufgrund der Erdrotation in St. Petersburg eingeschlagen.

Augenzeugenberichte:

Die meisten Augenzeugen berichteten von einer Explosion, einige jedoch auch von mehreren: „Drei oder vier Tage vor Sankt Peter, nicht später als etwa 8.00 Uhr morgens, hörte ich etwas, das wie Kanonendonner klang. Ich rannte sofort auf den Hof, der in Richtung Südwesten und Westen offen ist. Zu diesem Zeitpunkt dauerten die Geräusche immer noch an, und ich sah im Südwesten, ungefähr auf halber Höhe zwischen Zenit und Horizont, eine rote Kugel fliegen; an den Seiten und dahinter waren Streifen zu sehen, die aussahen wie ein Regenbogen.“

Menschen in Kirensk beschrieben im Nordwesten einen rot glühenden Ball. Einige berichteten, er bewege sich horizontal, andere behaupteten, er sei steil herabgestürzt. Bei dem Dorf Boguchany gab es einen bläulichen Blitz und einen lodernden Körper, erheblich größer als die Sonne. Semen Semenjow befand sich 65 Kilometer von der Explosion entfernt und beschrieb sie mit den Worten: „Der Himmel teilte sich. Eine hohe und breite Feuerwalze erschien über dem Wald und eine enorme Hitze ging von dort aus. Dann verdunkelte sich der Himmel, ein heftiger, dumpfer Schlag war zu hören und ich wurde nach hinten geschleudert. Anschließend donnerte es, als würden Kanonen abgefeuert, die Erde bebte.“

  1. Seismografen rund um die Erde registrierten die Erschütterung.
  2. Wissenschaftliche Stationen registrierten weltweit flackernde Veränderungen im Magnetfeld der Erde.
  3. In Europa waren die folgenden drei Nächte so hell, dass man im Freien lesen konnte. Das Licht ging dabei von hellen Wolken aus.
  4. Eine Südpolexpedition beobachtete ein ungewöhnliches Polarlicht.
  5. In Irkutsk registrierte man 5 Minuten nach der Explosion eine magnetische Störung. Sie hielt vier Stunden an.
  6. 1958 stellten Wissenschaftler ein abnorm beschleunigtes Pflanzenwachstum in dem betroffenen Gebiet fest.

 

Die Expedition

Ausschließlich sibirische Zeitungen berichteten über das Ereignis. Weder in Westeuropa noch in der russischen Hauptstadt St. Petersburg erfuhr man davon.

1921 fiel dem Geowissenschaftler Leonid Alexejewitsch Kulik ein alte sibirische Zeitung in die Hände. Dort las er, dass im Juni 1908 mit gewaltigem Donner ein Brocken vom Himmel gefallen sei. Die transsibirische Eisenbahn hätte wie ein Säufer im Vollrausch auf den Gleisen geschwankt. Nach einer Notbremsung hätten Passagiere ein rot glühendes Objekt aus dem Boden ragen sehen. Kuliks erste Expedition scheiterte daran, das Einschlagsgebiet zu finden. Aufgrund von Zeitungsberichten und Zeugenaussagen kam er zu dem Schluss, er müsste weiter nördlich suchen.

Er kehrte nach Moskau zurück, um Geld für eine weitere Expedition zu sammeln. Zunächst begegnete man ihm skeptisch, man war es gewohnt, spektakuläre und unhaltbare Meldungen aus Sibirien zu erhalten, dem Land der »Arktischen Hysterie«, eine Krankheit, bei der die Betroffenen alles zwanghaft nachsprechen. Schließlich erhielt Kulik doch die Mittel, eine Expedition zusammenzustellen, und erreichte im März 1927 das Dörfchen Wanawara. Die dort ansässigen Tungusen weigerten sich, über das Ereignis zu sprechen. Sie glaubten, die Katastrophe sei eine Strafe des Feuergottes Ogdy gewesen und er würde erneut wüten, sollte jemand das Gebiet betreten.

Am 13. April erblickte Kuliks Gruppe die ersten umgeknickten Bäume. Ihr Stämme zeigten alle nach Süden. Je weiter die Expedition nach Norden vordrang, umso verheerender wurde die Verwüstung. Jahrhundertealte Lärchen wurden entwurzelt und wiesen Brandspuren auf. Anfang Juni erreichten sie das Gebiet, welches sie für die Einschlagstelle hielten. Zu ihrer Verwunderung gab es keinerlei Anzeichen eines Kraters und zwischen den entwurzelten Birken und Lärchen stand aufrecht eine kleine Gruppe astloser, kahler Baumstämme.

Zu Zeiten der Sowjets durften ausländische Forscher das Tunguska- Gebiet nicht untersuchen, denn in der Nähe lagen geheime Waffenfabriken.

 

Alternative Theorien

Ende der 50er Jahre hielten einige Wissenschaftler den Absturz eines außerirdischen Raumschiffes mit Nuklearantrieb für die Ursache, denn in den Jahresringen der Bäume von 1908 und 1909 wurde eine erhöhte Konzentration von Cäsium-137 gemessen, was nicht zur Einschlagtheorie passte. Allerdings wurden weder Trümmerteile eines UFOs gefunden noch wiesen die Einwohner Folgen einer Strahlenerkrankung auf. 1973 stellten US-Wissenschaftler die These auf, ein schwarzes Loch habe die Erde getroffen. Dem widersprach, dass das Schwarze Loch beim Verlassen der Erde einen Tsunami ausgelöst haben müsste.

Ende der 90er Jahre entwarf der Astrophysiker Wolfgang Kundt folgendes Szenario: Zehn Millionen Tonnen Methan, Wasserstoff und Helium seien unter hohem Druck durch Risse geströmt, in der Luft hätten sie sich ausgedehnt und seien mit Überschallgeschwindigkeit 200 Kilometer hoch in die Atmosphäre geschossen.

 

Außenseitertheorien (Auswahl):

  1. Ein Verneshot-Ereignis (benannt nach Jules Verne).
  2. Ein Ausbruch vulkanischer Gase, die sich in der Atmosphäre entzündeten.
  3. Nikola Teslas drahtlose Energieübertragung, mit der er in Colorado Springs experimentierte.
  4. Explosion einer Atombombe. In den 70er Jahren verschwand eine Atomrakete spurlos. Sie geriet in ein Zeitloch und explodierte 1908.
  5. Eine Mückenexplosion.
Fotograf unbekannt, »Umgestürtzte Bäume in der Tunguska«,1927
Leibeigenschaft Leibeigenschaft
Das Elend der Unfreien

Leibeigene durften ohne Genehmigung ihres Leibherren weder heiraten noch vom Gutshof wegziehen, waren zu Frondiensten und Naturalabgaben verpflichtet.

1601 begann sich in Russland die Leibeigenschaft durchzusetzen. 1609 führte das zu einem großen Bauernaufstand. In den meisten westeuropäischen Ländern waren die Bauern an die Scholle gebunden, in Russland nur nach dem Willen ihres Herren, was bedeutete, er konnte sie auch ohne Grund und Boden an einen anderen Herren verkaufen.

Zar Alexander II. war, anders als seine beiden Nachfolger Alexander III. und Nikolaus II., Reformen gegenüber aufgeschlossen. Nach der Niederlage Russlands im Krimkrieg erklärte Zar Alexander II. im Jahr 1856: "Besser, die Leibeigenschaft von oben zu zerstören, als zu warten, bis sie sich selbst von unten zerstört."

Den 19. Februar 1861, als die Leibeigenschaft abgeschafft wurde, bezeichnete Alexander II. später als den glücklichsten Tag seines Lebens. Allerdings besserte sich die Lage der 23 Millionen Leibeigenen danach kaum. Für das Land, das sie erhielten, mussten sie hohe Ablösesummen an die Adligen zahlen, die auf 49 Jahre festgelegt waren. Zudem waren die Leibeigenen der irrtümlichen Auffassung, sie würden zwar ihrem Lehensherren gehören, doch der Boden, den sie bestellten, sei ihr Eigentum und konnten es kaum fassen, dass der Zar ihnen »ihr« Land verweigerte. Im Ergebnis waren die Landzuteilungen viel zu klein und die Ablösesummen zu hoch, sodass sie in einer Schuldenfalle gefangen waren.

Wladimir Jegorowitsch Makowskij, »Armenbesuch«, 1874, Tretjakow-Galerie, Moskau
Quellen: Wikipedia, drugcom.de, Anette Bruhns - spiegel.de, systemphysik, ather.info, Drogen.wikia, Russland aktuell, catbull, Wolfgang U. Eckart - Illustrierte Geschichte der Medizin, Yousif Abdel Gadir - Ballone und Luftschiffe, Christian Esch - Berliner Zeitung, Richard Pipes - Russland vor der Revolution: Staat und Gesellschaft im Zarenreich/C.H. Beck, München/1977, Antje Lorenz, N24, Geokompakt Nr. 18 - 03/09, Globalenergytransmission.com, www.spiegel.de/einestages/erfinder-nikola-tesla-meister-der-blitze, gymoberwil.educanet2.ch/a.hu/projektarbeit/tesla www.geo.de/GEO/natur/30-juni-1908-tunguska-in-flammen von Text von Till Hein, Gunna Wendt, »Alexandra - die letzte Zarin«, Insel Verlag, Berlin ISBN 978-3458360209

 

Glossar wird fortgesetzt